Siebzig Verbandsjahre sind bezogen auf ein Menschenleben eine lange Zeit, nicht aber in Bezug auf die Wurzeln unserer zweckgerichteten Zusammenschlüsse. Denn die ersten berufsständischen Vereinigungen in unserer Branche wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts gegründet und waren eine Folge des sich in jener Zeit entwickelnden Genossenschaftswesens in der Landwirtschaft und den Betrieben zur Vermarktung und Verarbeitung bäuerlicher Produkte sowie den Institutionen der Finanzdienstleistungen in diesem Bereich.

Eine Bewegung, um die sich bekanntlich Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) sehr
verdient gemacht hat. Unsere ersten Berufsverbände waren vorrangig Interessenvertretungen der in den genossenschaftlichen Molkereien eingesetzten Betriebsleiter. Einiges davon ist bis in die neuere Zeit hinein geblieben, so spielten zu meiner Zeit Anfang der neunziger Jahre die jährlich neu auszuhandelnden Molkereileiter-Richtlinien zur Entlohnung der Betriebsleiter immer noch eine gewisse Rolle - heute dürften sie wohl ganz und gar vergessen sein.
Zur Gründungsgeschichte unseres LBM im Jahre 1949 kann ich leider so gut wie nichts
beitragen. Sicher ist nur, dass in der Nazizeit ein unabhängiges Vereinswesen verboten war, so dass es erst nach dem Zusammenbruch in den verschiedenen Ländern der westlichen
Besatzungszonen zu Neu- oder Wiedergründungen solcher Berufsverbände kam. Unsere
ostdeutschen Berufskollegen mussten dagegen noch ganze vierzig Jahre warten. Die
Gründungszelle des LBM lag im Nürnberger Raum, wie sich leicht anhand der fortlaufend
vergebenen Mitgliedsnummern feststellen lässt. Klaus Anders aus Oberasbach dürfte wohl das letzte noch lebende Gründungsmitglied aus dem Jahre 1949 (Mitgliedsnummer 82) sein. Es war immer sehr lehrreich und amüsant, seine Erinnerungen zur Verbandsgeschichte zu hören. Einiges davon hat er auch hier in diesem Kreis berichtet und ich hoffe, dass seine
Aufzeichnungen entsprechend bewahrt werden.
“Vier Jahrzehnte für den Verband” - so titelte Roland Soßna seinen Bericht in der Deutschen
Milchwirtschaft über die Jahrestagung 1992 in Passau, in der die Verabschiedung von
Eberhard Hiltl und meine Einführung erfolgte.
Es liegt natürlich auf der Hand, dass in so einer langen Zeitspanne auch eine gewisse Tragik
liegt. Hiltl hatte 1992, fast siebzigjährig, den Zenit seiner beruflichen Karriere längst
überschritten, aber die Häme, mit der dies von vielen Seiten begleitet wurde, war dennoch
ungerecht. Dabei muss auch festgehalten werden, dass Hiltl die ersten Jahrzehnte als
Geschäftsführer für den Verband ohne festes Anstellungsverhältnis arbeitete und schon wegen fehlender gesetzlicher Rentenansprüche gezwungen war, über das normale Renteneintrittsalter tätig zu sein.
Unbestritten sind seine Verdienste ganz besonders um die Berufliche Erwachsenenbildung,
die unseren Verband so herausragend gemacht haben und ihm bis heute im Gegensatz zu den “fremd verwalteten” Verbänden die Autarkie sichern. Vieles davon, ob Fachleuteseminare, Laborpraktika und nicht zuletzt die Arbeitstagung der Erzeugerberater, ist bis heute geblieben.
Verständnis muss man auch dafür aufbringen, dass Hiltl den digitalen Neuaufbruch lieber
seinen Nachfolgern überlassen wollte. Es sind noch keine 30 Jahre vergangen, aber es ist
heute geradezu unvorstellbar, wie damals Mitgliederverwaltung funktionierte. Schränke voller
Karteikarten, die immer wieder Stück für Stück gesichtet werden mussten, um beispielsweise
die jährlichen Jubilare herauszufiltern. Entsprechende, seinerzeit “moderne”
Lochkartensysteme haben sich wohl nie in breiterem Maße durchsetzen können. Jede einzelne Beitragsrechnung, jeder Lastschriftbeleg wurde von Hand auf der Schreibmaschine
angefertigt, kein Wunder, wenn dies Wochen in Anspruch nahm und für all diese
Büroarbeiten ganzjährig zwei Sekretärinnen erforderlich waren.
Die Buchhaltung erfolgte in einem so genannten amerikanischen Journal, ein Buch von
mehreren Kilogramm, das aufgeschlagen etwa einen Meter fünfzig breit war und wohl nicht
nur mir, sondern auch Rechnungsprüfern und Steuerberatern häufig ein Buch mit sieben
Siegeln blieb. Vor dem Tage andauernden jeweiligen Monatsabschluss gab es folgerichtig
auch niemals einen tragfertigen Finanzüberblick.
Weiter möchte ich gar nicht in diese Vorzeiten eindringen, sondern kurz darauf kommen, wie
ich eigentlich zum LBM gelangte. Seit 1971 am Institut für Milchforschung in Oranienburg
tätig, gehörte ich Ende 1989, Anfang 1990 zu den Gründern des Verbandes der Milchindustrie der DDR, zu dessen erstem Geschäftsführer ich im März 1990 ernannt wurde.
In dieser Eigenschaft war es mir möglich, mit Hilfe solidarischer Unterstützung aus dem
Westen sehr viele Verbindungen zu knüpfen, so zum Verband der Milchindustrie mit seinem
damaligen Geschäftsführer Eberhard Hetzner, zum ZDM mit seinem Geschäftsführer Otmar
Burska und auch schon zum LBM. So begegneten sich Eberhard Hiltl und ich erstmals als
Gäste bei der Gründungsveranstaltung des Sächsischen Molkereifachleuteverbandes, der von Wilfried Nöbel aus Wurzen im Sommer 1990 ins Leben gerufen worden war und der schon 1992 unter dem Dach unseres, sich ab nun Landesverband Bayerischer und Sächsischer Molkereifachleute nennenden Verbandes eine neue Heimstatt fand.
Wilfried Nöbel und ich waren Referenten und Gäste bei den Grainauer Cheftagen im Januar
1991, der ersten dieser traditionellen LBM -Veranstaltungen nach der Wiedervereinigung.
Unvergesslich für mich die überaus herzliche Aufnahme in Bayern und wie uns
Persönlichkeiten wie Gerhard Müller, Xaver Mayr, Fritz Bögelein und Helmut Vinzelberg
förmlich unter die Fittiche nahmen.
Klar war jedoch auch schon, ein Ostverband der Milchindustrie hatte sich erledigt, seine
Aufgabe erfüllt, in der Übergangszeit die Anpassung der hier verbliebenen Betriebe an die
neuen Rahmenbedingungen zu ermöglichen und die Tätigkeitsfelder vieler Institutionen
abzudecken, die es hier noch nicht gab.
April 1991
Kurzum, schon ab April 1991 war ich für die Fa. Pfizer als Verkäufer tätig. Mein eigentliches
Ziel sollte die Vorbereitung des Marktes in Deutschland, Österreich und der Schweiz für
deren Genlab Chymax sein.
Unter den damaligen Vorbehalten und gesetzlichen Bestimmungen ein reiner Wunschgedanke und so dümpelte meine Verkaufstätigkeit mit dem schwer verkäuflichen Pfizer-Suparen herum. Dieses Produkt wiederum war nur geeignet für Hartkäse und so beschränkte sich mein Einsatz vor allem auf dessen wichtigste Herstellungsgebiete in Süddeutschland.
Auf die Grainauer Bekanntschaften konnte ich da kaum zählen, statt bei den Chefs landete ich mit meinem Anliegen in den meisten Fällen bei uninformierten und uninteressierten
Einkäufern.
Da war es eine Wohltat, bei Eberhard Hiltl in Füssen einige Interna über potenzielle Kunden
zu erfahren. Er muss gespürt haben, dass ich über meinen Job nicht besonders glücklich war
und ließ seine Zukunft betreffend mal fallen: “Wie es mit unserem Verband weiter gehen soll,
vermag keiner zu sagen, aber im Vorstand sind wir uns einig, so ganz jung sollte mein
Nachfolger nicht sein.” Wobei er mich vieldeutig ansah und ich mich fragte: “Zielt das etwa
auf mich und bin ich mit 47 Jahren vielleicht zu jung oder schon zu alt?”.
Ich hatte das Ganze längst vergessen, als Ende des Sommers 1991 der Landesvorsitzende
Gerhard Müller bei uns in Oranienburg anrief und fragte, ob ich mir vorstellen könne, die
Nachfolge Hiltls anzutreten. Das schlug für meine Frau und mich ein wie eine Bombe.
Bedenkzeit unsererseits, überaus zähe Vertragsgestaltung seitens des LBM und die lange
Kündigungsfrist bei meinem Arbeitgeber führten dazu, dass ich schließlich erst am 1. Juli
1992 meinen neuen Job antreten konnte.
Der Start war alles andere als einfach. Die Verlagerung der Geschäftsstelle nach Mittelfranken stieß nicht überall auf Gegenliebe, schon gar nicht bei der langjährigen Füssener Crew. Die von Hiltl ausbedungene, höchst überflüssige Übergangszeit von drei Monaten mit zwei Geschäftsführern führte letztlich zu einem totalen Desaster bei den Verbandsfinanzen und nicht zu klärenden Fehlsummen. Nur durch eine kurzfristige Anleihe bei der damaligen Unterstützungskasse konnte vor Eingang der Mitgliedsbeiträge für 1993 eine Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden. Für das Verständnis und Entgegenkommen bin ich den Vorstandsmitgliedern von damals, allen voran Hanns Rauschmayr heute noch dankbar.
Obwohl auf diesem Gebiet selbst noch ein absolutes Greenhorn, war die Digitalisierung der
Verbandsarbeit meine Hauptaufgabe der ersten Monate. Für die jüngere Smart-Phone-
Generation wohl kaum nachvollziehbar, was das bedeutete. Der erste PC des LBM hatte noch nicht einmal die Speicherkapazität eines heutigen USB-Sticks. Einhundert MB waren
unendlich viel, GB eine schier unvorstellbare Größe, man arbeitete mit dem DOS-Betriebssystem, mausgestütztes Windows und erst recht das Internet steckten noch in den Kinderschuhen.
Und kaum war die mühselige Datenerfassung abgeschlossen und das Karteisystem
weitgehend perfektioniert, kam mit der Einführung der 5stelligen Postleitzahlen der nächste
Arbeitsaufwand, der damals wiederum nur manuell zu bewältigen war.
Immerhin wurden auf diesem Weg die Adressdateien immer perfekter und die unendliche
Zahl von Karteileichen friedlich beerdigt. Bis dahin gab es nämlich bei der sehr preiswerten
Postsendungsform “Drucksache” keinerlei Rückmeldung zur Unzustellbarkeit.
Abgesehen von solch nebensächlichen Dingen: Wie eigentlich sah er aus, der Verband, dessen Geschäftsführung ich 1992 übernommen hatte?
Nun charakteristisch war sicher die zu Ende gehende Periode des uneingeschränkten
Patriarchats. Es dominierten noch die Ehrfurcht gebietenden Eminenzen der bayerischen
Milchwirtschaft und Förderer des LBM, für die solche Namen wie Hofmeister, Deller, Reiter
sen. und viele andere standen.
Ein gesellschaftlicher Höhepunkt im Verbandsleben waren die Grainauer Cheftage, wie die
Jahrestagungen stets umrahmt von einem “Damen”-Programm, woraus erst später
Partnerprogramme wurden, sehr zum Leidwesen des unvergessenen Kurt Fickel, der sich
unter Damen viel wohler fühlte als unter Partnern. Und eine Unternehmerin namens Johanna
Leebmann war die absolute Ausnahme in dieser Herrenriege.
Ich möchte nur ein für mich unvergessliches Beispiel anführen, wie solche Patriarchen
nachzuwirken vermochten. Im Zuge der Anzeigenwerbung für unsere Jahresbroschüre (auch
so ein Verdienst Hiltls) erfuhr ich ziemlich schroffe Ablehnung in einem Münchener
Unternehmen, gemildert durch die entschuldigende Bemerkung:
“I woaß scho, wenn hia no d’oide Deller saßert, der dat mi derscheeßn.“
Humor haben die Bayern, das muss man ihnen lassen.
Nicht zuletzt deshalb hat die Arbeit stets Freude gemacht und die vielen entstandenen
Freundschaften waren ein großer Gewinn sowohl für mich wie auch für meine Frau Franziska.
Diese guten Erinnerungen sind ein Ausgleich zu den personellen Verlusten, deren es von Jahr
zu Jahr leider mehr werden. Freude machte es auch, selbst in die Zukunftsgestaltung des
Verbands einzugreifen. Zwei meiner Landesvorsitzenden - Gerhard Dilger und Ludwig Weiß -
konnte ich mir selbst mit aussuchen. Ich hoffe sehr, lieber Ludwig, dass Du mir den
diesbezüglichen abrupten Überfall gemeinsam mit Gerhard Dilger anlässlich der ZDMTagung 2001 in Nürnberg verziehen hast.
ab 2005
Stolz bin ich auch darauf, ab 2005 mit Rudi Raith einen Nachfolger gefunden zu haben, der
sicher vieles noch deutlich besser gemacht hat als ich. Sein Organisationstalent wusste ich
schon nach der ersten gemeinsam veranstalteten Lehrfahrt sofort zu schätzen. Die spätere
völlig komplikationslose Geschäftsübergabe war für mich ein besonderes Geschenk, vor allem aufgrund meiner früheren diesbezüglichen Erfahrungen. Ich hoffe nur, lieber Rudi, dass Du künftig mit Deinen physischen Kräften etwas achtsamer umgehst und dass Dein Einsatz für den Verband auch nachhaltig gewürdigt wird.
Ich habe keine Ahnung, ob die Teilnehmer der Beruflichen Erwachsenenbildung die
Seminarunterlagen heute bereits in digitalisierter Form übermittelt bekommen, das würde Dir, lieber Georg Rauschmayr, viele körperliche Arbeit ersparen.
Mir wollte seinerzeit kaum jemand glauben, dass die Tätigkeit als Geschäftsführer zeitweilig
in Schwerstarbeit beim Herstellen und Bewegen von zentnerschweren Tagungsunterlagen und völlig stumpfsinnigen Verrichtungen wie das endlose Eintüten und Frankieren von Briefen ausarten konnte, meinerseits nur zu ertragen an der Seite einer als geringfügig verdienend eingestuften Ehefrau und moralischen Stütze in solch scheinbarer Schmach.
Über dergleichen muss man hinweggehen können, um so mehr wird man von der Freude an
den Erfolgen belohnt. Es ist nicht zu übersehen, dass dies bei Dir, lieber Georg der Fall ist,
weshalb uns um die Zukunft des LBM nicht bange sein muss. Ich denke, Dein Nachfolger in
ferner Zukunft darf dann getrost noch sehr jung sein!
Dr. Frank Johst
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